Kultur soll berühren und bewegen – dazu muss sie unabhängig sein

Ein Widerspruch zur Festrede zum Kulturkreis 2017.
von Tim Achtermeyer

Ja, es ist richtig: Unseren Kommunen in der Bundesrepublik geht es oft finanziell nicht gut. Man müsste sich daher doch freuen, wenn die starke Wirtschaft der öffentlichen Hand unter die Arme greift und sich stärker an der Kulturfinanzierung beteiligt, oder?
Diese bewusste Zuspitzung der Rede „Von Kulturkreis zu Kulturkreis: Kultur und Wirtschaft – Partnerschaft fürs (Über)Leben?“ von Franziska Nentwig zum Kulturkreis 2017 macht die Problematik des Vortrags der Geschäftsführerin des „Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie“ deutlich. Vorweg gestellt: Ich freue mich über jeden Euro, den die Wirtschaft der Kultur zu Gute kommen lässt. Die Problematik liegt an einer anderen Stelle. In der Rede werden „die öffentliche Hand“, „die Kultur“ und „die Wirtschaft“ als finanziell eigene, abgeschlossene und voneinander unabhängige Systeme gezeichnet. Das sind sie aber gerade nicht, denn bekanntlich kann jeder Euro nur auf einem Konto liegen. Die Wirtschaftsdaten in Deutschland kennen in den letzten Jahren nur eine Richtung: Wachstum. Aber genauso wie der konjunkturelle Aufschwung eher am oberen Ende der Privathaushalte ankommt, so kommt er auch eher bei der Wirtschaft selber an, als bei der öffentlichen Hand. Nach dem Subsidiaritätsprinzip am wenigsten bei den Kommunen, die in NRW aber rund 70% der Kulturausgaben beisteuern.

Und während die mittleren und kleinen Unternehmen die Hauptlast der kommunalen Gewerbesteuer tragen, beschäftigen gerade die großen internationalen Konzerne ganze Heerscharen von Juristen zur Produktion von Steuervermeidungsstrategien. , Geld, das in den Unternehmen bleibt und bei der öffentlichen Hand nie ankommt.

Doch macht es eigentlich einen Unterschied, ob das Geld für Kultur aus der Wirtschaft oder von der öffentlichen Hand kommt?
Kultur ist mehr als schöne Töne, Farben und Formen. Kunst ist auch immer wieder die Hinterfragung und die Kritik von Gesellschaft und System, also auch zwangsläufig von Wirtschaftssystemen und ihren Werten. Für diese Tätigkeit braucht Kunst nicht nur Raum, sondern auch Unabhängigkeit. Kultur darf nicht in Abhängigkeit zur Wirtschaft geraten. „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“ Diese alte Weisheit der mittelalterlichen Minnesänger hat nebenbei bemerkt nicht an Wahrheitsgehalt verloren. Deshalb ist staatliche Kulturförderung unverzichtbar.

So finanziell unabhängig die drei Systeme Kultur, öffentliche Hand und Wirtschaft in der Rede dargestellt werden, so widerspruchsfrei sind sie als Einheit innerhalb der Gesellschaft skizziert. Dass Kultur und Wirtschaft Schnittpunkte haben, ist kein wahnsinnig neuer Gedanke. Albrecht Dürer schuf ein wirtschaftliches Imperium im Kunsthandel, Michelangelo hortete Berge von Gold unter seiner Matratze und auch der unbekannteste Künstler kann sein Magengrummeln kaum mit Applaus befriedigen. Nein, die Schnittstelle von Kunst und Wirtschaft ist nicht neu. Immerhin entwickelte sich die Kunst aus dem mittelalterlichen Handwerk und auch das Kunsthandwerk vom Werkbund bis zum Bauhaus zeigt Brücken von Kultur und Wirtschaft auf. Keinesfalls ist aber das Verhältnis von Kunst und Kultur auf der einen Seite und von Wirtschaft damit widerspruchsfrei. Im Gegenteil: Die Schnittstellen sind Herde des Widerspruchs. Daher ist es nicht nur verständlich, dass Künstler*innen Hemmungen haben, Geld aus der Wirtschaft anzunehmen – es ist natürlich. Kunst und Kultur ziehen nicht selbstverständlich am selben Strang wie die Wirtschaft. Sie unterscheiden sich in Wesensmerkmalen und Zielen. Eine Partnerschaft setzt aber das Gegenteil voraus.

Widerspruch anzumelden ist auch zur ökonomischen Legitimierung von Kunst und Kultur. Sicher ist Kultur auch Standortfaktor und Impuls- und Ideengeber für die Konjunktur, auch wenn dem viel zitierten, aber wenig nachhaltigen „Bilbao-Effekt“ häufig genug längst die Puste ausgegangen ist. Aber der ökonomische Ertrag und die ökonomische Legitimation darf den Kern von Kunst und Kultur nicht berühren.
Kultur steht seit langem unter einem Legitimationsdruck, gerade in unserer Zahlen-basierten Zeit und effizienzorientierten Welt. Wer aber versucht Kultur ökonomisch zu legitimieren, hat schon verloren. Nicht die effiziente Art der Kunst- und Kulturherstellung ist für die Bewertung entscheidend, sondern das Ergebnis, eben die Kunst und Kultur. Entscheidend ist, ob sie uns berührt und bewegt.

 

http://www.general-anzeiger-bonn.de/news/kultur-und-medien/Ozean-der-M%C3%B6glichkeiten-article3499065.html

 

Veröffentlicht am 7. März 2017 um 12:09 Uhr.